Der ClubbingClassic Abend am 26. September im Kunstwerk in Mönchengladbach Wickrath überraschte nicht nur mit einem großen Aufgebot an Weltstars wie Alice Sara Ott, Francesco Tristano und BrandtBrauerFrick, sondern auch mit einem musikalischen Skandal in Form einer Weltpremiere.
Als “Skandal” des Abends erlebten fast 500 Zuschauer aus Mönchengladbach, Köln, Düsseldorf und dem Ruhrgebiet die spontane Improvisation von Alice Sara Ott am Flügel zu den elektrischen Techno-Klängen von Tristano und FrandtBrauerFrick. Spätestens da waren sowohl Klassikliebhaber als auch die Clubgänger unter dem mehr als gegensätzlichen Publikum überzeugt, dass Klassik und Club zusammen passen. Die Synthese von Klassik und moderner Clubmusik gelang auf höchstem Niveau dank einer sensiblen musikalischen Dramaturgie des Abends und des herausragenden Zusammenspiels der Künstler bei den Übergängen der drei Programm Acts.
Philipp Maiburg und Laura Gerard-Iglesias führten durch den Abend
Als Alice Sara Ott und Francesco Tristano am Samstag Abend im KUNSTWERK Wickrath die Bühne mit ihren Interpretationen von Ravels „Bolero“ und Strawinskys „Sacre“ stürmten, da lagen ihnen die Zuschauer zu Füßen. Dabei konnte das Publikum gegensätzlicher nicht sein.
Hautnah und geradezu unheimlich physisch erlebte das Publikum diese zwei klassischen Stücke. Ob Klassikliebhaber oder Clubgänger. jeder konnte mit allen Sinnen wahrnehmen, wie Ott und Tristano auf ihren Instrumenten ohne Worte kommunizierten, wie sie hämmerten, zupften, die Luft anhielten und zeitweise von ihren Klavierhockern abhoben. Klanglandschaften, mal molekular-fragil, mal opulent und fett, wurden da im Kunstwerk kreiert und plötzlich standen Fragen im Raum: wie „klassisch“ sind eigentlich Stravinsky und Ravel wirklich? Stravinsky und Ravel im Club? Warum nicht!
Selbst „Sacre du Printemps“ von Strawinsky, das als Skandalwerk nicht gerade „leichte Kost“ ist, lässt in seiner Intensität das ganze Publikum aufmerksam lauschen.
Wem die Zeit nicht wie im Fluge vergeht, kann entspannt um die Pianisten herum gehen, sich etwas zu trinken holen, ein Foto machen und mit der Welt teilen. Das Konzept des Abends geht gleich am Anfang auf: hier geht es allein um Musik, nicht um Konventionen und Regeln.
Auch die Besucher sind in Bewegung: Zwischendurch rausgehen, auf dem Boden einen Happen Essen — alles kein Problem.
Alle Generationen stehen, sitzen oder hocken da im Kunstwerk und hören im 2. Act den Übergang, die Transformation: Francesco Tristano spielt ein Piano-Solo, das sich endgültig jeder Schubladensortierung verweigert. Ist das klassisch, elektronisch oder Soundtrack Music? Behutsam wird das Publikum in andere musikalische Sphären getragen — Musik, die Akkordfolgen von Bach zitiert und Rhythmen aus dem Club aufgreift, die mal wüst und unnahbar und mal intim und leise daher kommt, weckt Neugierde und steigert gleichzeitig die Spannung ohne die Zuhörer in ihren üblichen Hörgewohnheiten zu überfordern.
Und nebenbei eine spontane Weltpremiere!
Das gilt auch für den anschließenden Auftritt des Techno-Trios Brandt Brauer Frick (3. Act): zusammen mit Francesco Tristano und einer spontan dazukommenden Alice Sara Ott am Piano steigert sich der Klang von Schlagzeug, Saiten, Synthesizer und abgemischten Sounds zu einem audio-visuellen Feuerwerk, dass garantiert Stahlkraft über die Grenzen von Mönchengladbach hinaus hat. Die Kombination von Brandt Brauer Frick und Alice Sara Ott und Francesco Tristano war so noch nie zuvor erleben — hier von einer (spontanen) Weltpremiere zu sprechen ist nicht übertrieben.
Brandt Brauer Frick beschreibt seinen Stil als emotionale Körpermusik – elektronische Komposition mit höchstem musikalischem Anspruch. Bei ClubbingClassic spiegelt sich dies bei den älteren Zuhörern in wippenden Füssen oder groovenden Körperbewegungen bei den Jüngeren wider.
Die jüngste Besucherin ist gerade einmal 5 Jahre alt und verschläft mit dem Bolero von Ravel, den Tristano für zwei Klaviere neu arrangiert hat, zwar den ersten Act, aber fühlt sich bald von den elektronischen Klängen der nächsten Parts von Tristano und BrandtBrauerFrick zum Tanzen animiert. Auch die älteste Besucherin lässt es sich nicht nehmen, endlich einmal die Musik erleben zu dürfen, mit denen ihre Enkel die Nacht zum Tag machen. Am Ende fühlte sie sich von den Künstlern des Abends auf „raffinierte Weise verführt“.
Das Resümee dieses Konzertabends, ins Leben gerufen vom „Verein der Freunde und Förderer der Musik in Mönchengladbach“ ist auf emotionalem Level kaum besser zusammenzufassen. Hier wird Musik präsentiert, die auf höchstem Niveau begeistert und nicht mittelmäßig ist, nur um zu gefallen.
Die Erwartungen der Veranstalter und der fast 500 Besucher werden bei Weitem übertroffen, denn es gelingt den Musikern, an einem Abend Konzertbesucher unabhängig von ihren Hörgewohnheiten von der Nähe klassischer und elektronischer Musik zu überzeugen und sich auf Neues einzulassen.
Die Zukunft der klassischen Musik ist vielfältiger, als manch einer denkt!
Wenn Alice Sara Ott sagt, die spielt gerne barfuß Klavier, weil sie sich wohlfühlen möchte, trifft sie damit den Nerv des Abends: „Leute, entspannt euch!“ ClubbingClassic zeigt, dass klassische Musik eine Zukunft hat und mit allen Sinnen, in jedem Alter und gemeinsam zu erleben ist.
Das dies auch elektronische Musik schaffte, zeigte die anschließende Aftershow Party im Raum 38, bei der die Generationen im Club der Kunstgeschwister mit DJ Sets von Jonas Mantey und Korbinian Groll die Nacht zum Tag machten.
Fotos: Max Zdunek, Dominik Rau